Einleitung

Als ich kürzlich durch die Straßen Münchens schlenderte, fiel mein Blick auf ein Werbeplakat, das mich innehalten ließ. „Worte öffnen Welten“, prangte dort in großen Lettern, eine Botschaft für eine Buchhandlung. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie sehr dieser Slogan nicht nur für die Literatur, sondern auch für die Werbung selbst gilt. Es ist diese faszinierende Schnittstelle zwischen Werbebotschaften und literarischen Texten, der ich heute nachspüren möchte.

Die Verdichtung als gemeinsames Prinzip

Sowohl in der Literatur als auch in der Werbung geht es im Kern um die Kunst der Verdichtung. Denken wir an die Haiku-Dichtung Japans oder die Aphorismen eines Friedrich Nietzsche – hier wird in wenigen Worten eine ganze Welt erschaffen. Ganz ähnlich funktionieren gelungene Werbebotschaften. Sie müssen in kürzester Zeit eine Geschichte erzählen, Emotionen wecken und im Gedächtnis bleiben. Ein Premium-Copywriter weiß, wie er Ihre Werbebotschaft geschickt verpackt.

Nehmen wir beispielsweise den berühmten Werbespruch von Apple: „Think different.“ In nur zwei Worten wird hier eine ganze Philosophie transportiert, eine Aufforderung zum Nonkonformismus, die an die Beat-Generation der 1950er Jahre erinnert. Allen Ginsberg hätte seine Freude daran gehabt.

Die Macht der Metapher

Ein weiteres Element, das Literatur und Werbung verbindet, ist die Verwendung von Metaphern. In der Poesie dienen Metaphern dazu, komplexe Gefühle oder abstrakte Konzepte greifbar zu machen. Rainer Maria Rilke schrieb: „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Sie sprechen alles so deutlich aus: Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus, und hier ist Beginn und das Ende ist dort.“

In der Werbung finden wir ein ähnliches Prinzip. Der Slogan „Red Bull verleiht Flüüügel“ bedient sich einer Metapher, um Energie und Leichtigkeit zu vermitteln. Es ist eine Verdichtung, die an die Verwandlungsmetaphern in Kafkas Werken erinnert, wenn auch in einem völlig anderen Kontext.

Der Rhythmus der Sprache

Rhythmus und Klang spielen sowohl in der Literatur als auch in der Werbung eine zentrale Rolle. In der Lyrik schaffen Metrum und Reim eine Melodie der Worte. Denken wir an Goethes „Über allen Gipfeln ist Ruh“, wo der Rhythmus die Stille der Natur fast hörbar macht.

In der Werbung finden wir ähnliche Techniken. Der Slogan „Haribo macht Kinder froh, und Erwachsene ebenso“ nutzt den Rhythmus und den Reim, um sich ins Gedächtnis einzuprägen. Es ist eine Technik, die an die Kinderreime erinnert, die schon Walter Benjamin in seinen Schriften über Sprache und Kindheit untersuchte.

Die Kunst der Anspielung

Intertextualität, also der Bezug auf andere Texte, ist ein Merkmal moderner Literatur. T.S. Eliot’s „The Waste Land“ ist gespickt mit Anspielungen auf andere literarische Werke, von Shakespeare bis zur Bibel.

Auch die Werbung bedient sich gerne solcher Anspielungen. Wenn eine Biermarke mit dem Slogan „Hopfen und Malz, Gott erhalt’s“ wirbt, spielt sie auf das traditionelle Brauchtum an und schafft gleichzeitig eine Verbindung zur religiösen Sprache. Es ist eine Technik, die an die Verwendung von Volksliedern in Bertolt Brechts Theaterstücken erinnert.

Das Spiel mit der Erwartung

Sowohl Literatur als auch Werbung leben vom Spiel mit den Erwartungen des Lesers bzw. Betrachters. In der Literatur schafft dies Spannung und Überraschung. Denken wir an die unerwarteten Wendungen in den Kurzgeschichten von O. Henry oder die Subversion von Märchenmotiven bei Angela Carter.

In der Werbung finden wir ähnliche Techniken. Der Slogan „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ eines bekannten Möbelhauses spielt mit unseren Erwartungen an die Sprache und regt zum Nachdenken an. Es erinnert an die Verfremdungseffekte, die Bertolt Brecht in seinem epischen Theater einsetzte, um das Publikum zum kritischen Denken anzuregen.

Die Erschaffung von Welten

Große Literatur erschafft ganze Welten. Denken wir an die detailreiche Mittelerde Tolkiens oder das Petersburg Dostojewskis. In wenigen Sätzen werden hier Atmosphären geschaffen, die uns in ihren Bann ziehen.

Auch Werbung versucht, in kürzester Zeit Welten zu erschaffen. Wenn eine Kaffemarke mit dem Slogan „Nespresso. What else?“ wirbt, wird in drei Worten eine Welt der Exklusivität und des Genusses evoziert. Es ist eine Verdichtung, die an die Fähigkeit von Autoren wie Ernest Hemingway erinnert, mit wenigen Worten ganze Szenarien heraufzubeschwören.

Fazit: Die Symbiose von Kunst und Kommerz

Die Betrachtung der Verbindungen zwischen Werbebotschaften und literarischen Texten zeigt uns, dass die Grenzen zwischen „hoher“ Kunst und kommerzieller Kommunikation oft fließender sind, als wir annehmen möchten. Beide Formen des Schreibens bedienen sich ähnlicher Techniken, um ihre Botschaften zu vermitteln und ihre Rezipienten zu berühren.

Natürlich unterscheiden sich die Zielsetzungen: Während Literatur oft darauf abzielt, zu reflektieren, zu hinterfragen und neue Perspektiven zu eröffnen, geht es in der Werbung primär darum, zu überzeugen und zum Handeln anzuregen. Dennoch können wir in gelungenen Werbetexten oft eine poetische Qualität entdecken, während umgekehrt große Literatur uns manchmal wie eine Werbung für das Leben selbst erscheinen mag.

Als Liebhaberin der Literatur und aufmerksame Beobachterin unserer Konsumkultur finde ich es faszinierend, diese Verbindungen zu entdecken. Es erinnert uns daran, dass die Macht der Sprache allgegenwärtig ist und dass wir, ob wir nun einen Roman lesen oder an einer Plakatwand vorbeigehen, stets von Worten umgeben sind, die Welten öffnen können.

Vielleicht sollten wir das nächste Mal, wenn wir einer Werbebotschaft begegnen, einen Moment innehalten und sie mit den Augen eines Literaturkritikers betrachten. Wer weiß – vielleicht entdecken wir dabei ein Stück Poesie im Alltäglichen.

Von artimage

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