Einleitung
Thomas Manns epischer Roman „Buddenbrooks. Verfall einer Familie“ gilt nicht nur als Meisterwerk der deutschen Literatur, sondern auch als sprachliches Kleinod. In diesem Beitrag möchte ich die beeindruckende Sprachkunst Thomas Manns unter die Lupe nehmen, mit besonderem Augenmerk auf seine Verwendung von Dialekt und die sprachliche Darstellung verschiedener gesellschaftlicher Schichten.
Die Vielschichtigkeit der Sprache
Mann bedient sich in „Buddenbrooks“ einer außerordentlich nuancierten Sprache, die weit mehr leistet als bloße Narration. Sie ist ein fein kalibriertes Instrument zur Charakterisierung von Figuren, zur Darstellung sozialer Milieus und zur Vermittlung der komplexen Themen des Romans.
Hochdeutsch als Basis
Die Erzählerstimme und ein Großteil der Dialoge sind in einem gepflegten Hochdeutsch gehalten. Dies entspricht dem bürgerlichen Milieu der Buddenbrooks und ihrer Zeitgenossen. Mann nutzt diese Sprachebene, um die Würde und den Anstand der hanseatischen Kaufmannsfamilie zu unterstreichen. Ein Beispiel hierfür ist die förmliche Anrede zwischen den Familienmitgliedern:
„Mein lieber Sohn“, sagte der Konsul, „ich habe dir einen Vorschlag zu machen.“
Dialektale Färbungen
Besonders interessant wird es, wenn Mann dialektale Elemente einflicht. Das Niederdeutsche der Region um Lübeck taucht immer wieder auf, oft in den Äußerungen von Dienstboten oder Figuren aus niedrigeren sozialen Schichten. Ein Beispiel ist die Rede von Alois Permaneder, dem bayrischen Hopfenhändler:
„I bitt‘ die gnädige Frau um Verzeihung von wegen dem Kartl … a Dummheit is halt gwest …“
Diese dialektale Färbung dient nicht nur der Authentizität, sondern auch der sozialen Verortung der Figuren. Sie schafft eine subtile, aber deutliche Abgrenzung zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten.
Fremdsprachen als Stilmittel
Mann setzt auch Fremdsprachen gezielt ein, um den Bildungsstand und die Weltläufigkeit seiner Figuren zu charakterisieren. Französische Ausdrücke und Wendungen finden sich häufig in den Gesprächen der Buddenbrooks, was ihren Anspruch auf Kultiviertheit unterstreicht:
„En avant, mes enfants!“ rief sie. „Wie die Offiziere!“
Sprachliche Darstellung gesellschaftlicher Schichten
Die Sprache in „Buddenbrooks“ ist ein präzises Instrument zur Abbildung der sozialen Hierarchie. Mann nutzt verschiedene sprachliche Register, um die unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen seiner Figuren zu verdeutlichen.
Die Sprache des Bürgertums
Die Mitglieder der Familie Buddenbrook und ihresgleichen sprechen ein gepflegtes, oft formelles Deutsch. Ihre Sprache ist reich an Abstrakta und komplexen Satzkonstruktionen, was ihre Bildung und ihren sozialen Status unterstreicht. Ein Beispiel aus einem Gespräch zwischen Thomas Buddenbrook und seiner Schwester Tony:
„Ich verstehe dich nicht ganz, meine Liebe. Du sprichst in Rätseln. Was ist geschehen? Was beabsichtigst du?“
Die Sprache der Angestellten und Dienstboten
Im Kontrast dazu steht die Sprache der Angestellten und Dienstboten. Sie ist oft dialektal gefärbt, direkter und weniger komplex. Die alte Ida Jungmann beispielsweise spricht oft im Dialekt ihrer ostpreußischen Heimat:
„Ach, Herrjeses, ja! Nu kommen Sie man flink, Tonychen! Die Herrschaften warten man schon!“
Die Sprache der Geschäftswelt
In den geschäftlichen Gesprächen und Verhandlungen zeigt sich eine weitere sprachliche Ebene. Hier dominiert ein nüchterner, sachlicher Ton, durchsetzt mit Fachbegriffen aus der Welt des Handels:
„Die Ernte war schlecht, die Preise steigen, wir müssen vorsichtig kalkulieren.“
Dialekt als Mittel der Charakterisierung
Manns Verwendung von Dialekt geht über die bloße Darstellung regionaler Unterschiede hinaus. Er nutzt dialektale Färbungen, um seine Figuren zu charakterisieren und ihre Entwicklung zu zeigen.
Tony Buddenbrook und der soziale Abstieg
Besonders deutlich wird dies an der Figur der Tony Buddenbrook. Zu Beginn des Romans spricht sie das gepflegte Hochdeutsch ihrer Familie. Nach ihrer unglücklichen Ehe mit dem Münchner Alois Permaneder und ihrer Rückkehr nach Lübeck finden sich in ihrer Sprache plötzlich bayrische Einsprengsel:
„Grüß Gott beieinander!“ sagte sie und lachte. „Da wär‘ ich also wieder.“
Diese sprachliche Veränderung symbolisiert Tonys sozialen Abstieg und ihre Entfremdung von ihrer Familie.
Dialekt als Ausdruck von Authentizität
Mann nutzt den Dialekt auch, um Figuren als besonders authentisch oder bodenständig zu charakterisieren. Dies zeigt sich beispielsweise in der Figur des Maklers Gosch, dessen plattdeutsche Einwürfe seine Verbundenheit mit der Region und seine Volksnähe unterstreichen:
„Döntjes, Döntjes!“ rief er. „Dat’s all man Tüdelkram!“
Sprachlicher Wandel als Spiegel des Verfalls
Ein zentrales Thema des Romans ist der Verfall der Familie Buddenbrook. Dieser Verfall spiegelt sich auch in der Sprache wider.
Die Erosion der formellen Sprache
Im Laufe des Romans beobachten wir, wie die einst so formelle und gepflegte Sprache der Buddenbrooks allmählich erodiert. Die jüngeren Generationen sprechen weniger förmlich, verwenden mehr Umgangssprache und zeigen weniger Sicherheit im Umgang mit den sprachlichen Konventionen ihrer Klasse.
Hanno Buddenbrooks Sprachlosigkeit
Der Verfall kulminiert in der Figur des jungen Hanno Buddenbrook. Seine zunehmende Sprachlosigkeit und sein Rückzug in die Welt der Musik symbolisieren den endgültigen Niedergang der Familie:
„Hanno nickte nur stumm, unfähig zu antworten.“
Fazit
Thomas Manns meisterhafte Handhabung der Sprache in „Buddenbrooks“ ist weit mehr als stilistische Finesse. Sie ist ein integraler Bestandteil des Romans, ein Instrument zur Charakterisierung, zur sozialen Verortung und zur Darstellung des zentralen Themas des Verfalls.
Die Verwendung von Dialekt, die nuancierte Darstellung verschiedener gesellschaftlicher Schichten durch Sprache und der subtile sprachliche Wandel im Laufe des Romans zeugen von Manns tiefem Verständnis für die Macht der Sprache als literarisches Mittel.
„Buddenbrooks“ ist nicht nur die Geschichte einer Familie, sondern auch eine sprachliche Reise durch die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Mann gelingt es, durch seine präzise und vielschichtige Sprachverwendung ein lebendiges, authentisches Bild seiner Figuren und ihrer Welt zu zeichnen. Diese sprachliche Meisterschaft trägt maßgeblich dazu bei, dass „Buddenbrooks“ auch heute noch als eines der großen Werke der deutschen Literatur gilt.