Einleitung
Die österreichische Literaturszene ist reich an Talenten, die oft im Schatten international bekannter Namen wie Elfriede Jelinek oder Robert Menasse stehen. Als leidenschaftliche Leserin habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, einige dieser verborgenen Perlen ans Licht zu bringen. In diesem Beitrag möchte ich Ihnen fünf zeitgenössische österreichische Autorinnen und Autoren vorstellen, deren Werke mich in den letzten Jahren besonders beeindruckt haben.
1. Valerie Fritsch: Poetische Dystopien
Valerie Fritsch, geboren 1989 in Graz, hat mit ihren Romanen „Winters Garten“ (2015) und „Herzklappen von Johnson & Johnson“ (2020) die Literaturwelt aufhorchen lassen. Ihre Sprache ist von einer betörenden Poesie, selbst wenn sie dystopische Szenarien entwirft.
In „Winters Garten“ erschafft Fritsch eine post-apokalyptische Welt, in der ein junges Paar versucht, inmitten von Verfall und Zerstörung eine Zukunft zu finden. Die Autorin verwebt dabei meisterhaft Bilder von üppiger Natur mit den Ruinen der Zivilisation.
„Die Nacht war ein schwarzes Tier, das sich über die Erde legte, und unter seinem Fell glühten die Sterne wie Glühwürmchen.“
Fritschs Stil ist geprägt von lyrischen Beschreibungen und einer tiefen Verbindung zur Natur. Sie schafft es, selbst in den dunkelsten Szenarien Schönheit und Hoffnung zu finden. Ihr neuestes Werk „Herzklappen von Johnson & Johnson“ setzt sich mit Themen wie Gentechnik und der Manipulation des menschlichen Körpers auseinander, ohne dabei an poetischer Kraft zu verlieren.
2. Clemens J. Setz: Meister des Unbehagens
Clemens J. Setz, 1982 in Graz geboren, ist ein literarisches Chamäleon. Seine Werke reichen von Romanen über Erzählungen bis hin zu Gedichten und sind geprägt von einer unterschwelligen Beunruhigung, die den Leser nicht loslässt.
Besonders beeindruckt hat mich sein Roman „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ (2015). Auf über 1000 Seiten entfaltet Setz die Geschichte einer jungen Betreuerin in einer Behinderteneinrichtung, die in einen psychologischen Machtkampf mit einem Stalker gerät. Die Detailversessenheit und die Fähigkeit, das Unheimliche im Alltäglichen aufzuspüren, machen dieses Buch zu einem faszinierenden, wenn auch verstörenden Leseerlebnis.
„Sie dachte an die vielen kleinen Dinge, die täglich passierten und die man einfach ignorierte, weil man sonst verrückt werden würde.“
Setz‘ Sprache ist präzise und gleichzeitig verspielt. Er jongliert mit Perspektiven und Erzählebenen und schafft es, seine Leser immer wieder zu überraschen und zu verunsichern.
3. Laura Freudenthaler: Stille Beobachterin
Laura Freudenthaler, geboren 1984 in Salzburg, hat mit ihrem zweiten Roman „Geistergeschichte“ (2019) einen beeindruckenden literarischen Coup gelandet. Das Buch, das von einer Frau handelt, die glaubt, ihr Mann betrüge sie, ist eine Studie in Wahrnehmung und Realitätsverschiebung.
Freudenthalers Stil ist zurückhaltend und präzise. Sie beschreibt die innere Welt ihrer Protagonistin mit einer Genauigkeit, die an Virginia Woolf erinnert. Dabei gelingt es ihr, eine Atmosphäre von unterschwelliger Spannung zu erzeugen, ohne je in Melodramatik zu verfallen.
„Sie hörte Geräusche, die nicht da waren, und die Stille dazwischen war noch lauter.“
Was mich an Freudenthalers Werk besonders fasziniert, ist ihre Fähigkeit, das Ungesagte und kaum Wahrnehmbare in den Mittelpunkt zu rücken. Sie zeigt, wie fragil unsere Wahrnehmung der Realität ist und wie leicht sie ins Wanken geraten kann.
4. Barbi Marković: Surreale Stadterkundungen
Barbi Marković, 1980 in Belgrad geboren und seit 2006 in Wien lebend, bringt einen frischen, surrealen Wind in die österreichische Literaturszene. Ihr Roman „Superheldinnen“ (2016) ist eine wilde Mischung aus Alltagsbeobachtung, Fantastik und subtiler Gesellschaftskritik.
Die Geschichte dreht sich um drei Freundinnen mit übernatürlichen Fähigkeiten, die durch Wien streifen. Marković spielt virtuos mit Sprache und Realitätsebenen und erschafft dabei ein einzigartiges literarisches Universum.
„Mascha konnte in die Zukunft sehen, aber nur bis zum Abendessen.“
Was mich an Markovićs Schreiben besonders begeistert, ist ihre Fähigkeit, das Absurde und das Alltägliche zu verbinden. Sie schafft es, ernste Themen wie Migration und Identität mit einem Augenzwinkern zu behandeln, ohne ihnen ihre Bedeutung zu nehmen.
5. Lydia Haider: Sprachgewaltige Provokateuse
Lydia Haider, geboren 1985 in Steyr, ist vielleicht die provokanteste Stimme in dieser Auswahl. Ihr Roman „Rotten“ (2016) ist eine sprachliche Tour de Force, die den Leser von der ersten Seite an herausfordert.
Haider erzählt die Geschichte einer Gruppe von Frauen, die sich gegen die patriarchalischen Strukturen ihres Dorfes auflehnen – mit drastischen Mitteln. Die Autorin bedient sich einer rohen, kraftvollen Sprache, die manchmal an Elfriede Jelinek erinnert, aber einen ganz eigenen Rhythmus hat.
„Wir waren die Pest, wir waren der Kropf am Hals der Gesellschaft, wir waren der Hautausschlag am Arsch der Welt.“
Was mich an Haiders Werk fasziniert, ist ihre Kompromisslosigkeit. Sie scheut sich nicht, Tabus zu brechen und den Leser zu verstören. Gleichzeitig gelingt es ihr, wichtige gesellschaftliche Themen auf eine Weise zu behandeln, die zum Nachdenken anregt.
Fazit
Diese fünf Autorinnen und Autoren repräsentieren für mich die Vielfalt und Innovationskraft der zeitgenössischen österreichischen Literatur. Von Valerie Fritschs poetischen Dystopien über Clemens J. Setz‘ verstörende Alltagsbeobachtungen bis hin zu Lydia Haiders sprachgewaltigen Provokationen – sie alle erweitern auf ihre Weise den literarischen Horizont.
Was diese „verborgenen Perlen“ vereint, ist ihre Bereitschaft, neue Wege zu gehen, sowohl thematisch als auch stilistisch. Sie scheuen sich nicht, unbequeme Fragen zu stellen und die Grenzen dessen, was Literatur sein und leisten kann, auszuloten.
Ich lade Sie ein, diese Autorinnen und Autoren zu entdecken und sich von ihren Werken überraschen, herausfordern und begeistern zu lassen. Die zeitgenössische österreichische Literatur hat weit mehr zu bieten als die bekannten Namen – man muss nur ein wenig tiefer graben, um wahre Schätze zu finden.